Mund-, Ess- und Schluckstörungen im Kindesalter
Veröffentlicht im August 2017
Wenn Kinder zu uns zur Therapie kommen, führen wir zu Beginn ein ausführliches Anamnesegespräch mit den Eltern. Dabei hören wir immer öfter Sätze wie diese: „Leon sabbert sehr viel, aber ich habe das Gefühl er merkt das gar nicht, immer ist der Mund offen. Er nimmt ständig alles in den Mund und kaut auf seinem Spielzeug rum. (…) Beim Essen stopft und schlingt er, kaut nicht richtig (..)“ oder auch „Emily lässt sich nicht die Zähne putzen, oft muss ich sie festhalten. Sie lässt niemanden an den Mund ran. Beim Essen ist sie sehr wählerisch, sie will immer nur das gleiche Essen und isst auch wie ein Spatz.“
Sprachlich fallen diese Kinder oft durch Zischlautstörungen (z.B. Lispeln) und/oder eine allgemein verwaschene Aussprache auf. Dahinter kann ein umfassendes Störungsgefüge stehen.
Die Nahrungsaufnahme gehört zu den grundlegendsten Funktionen . Auf den ersten Blick scheint sie ein einfacher automatisierter Vorgang zu sein, aber dahinter steckt ein komplexes Zusammenspiel aus Nerven, Muskeln, Reflexen und geistiger Entwicklung in Verbindung mit psychosozialen Erfahrungen.
Meilensteine der Kindesentwicklung auf dem Weg zum selbstständigen Essen sind:
- 4 ½ Monate: kann Flasche selbst halten
- 6 Monate: bearbeitet festes Gebäck mit den Zahnreihen
- 12 Monate: selbstständiges Trinken aus der Tasse (noch mit Verschütten)
- ab 15 Monate: selbstständiges Essen mit Löffel
- ca. 2 Jahre: sichere Speichelkontrolle, Mundschluss
Aufgrund verschiedenster Ursachen kann es zu Störungen im empfindlichen System rund um die Mundmuskulatur kommen. Fachleute nennen das „orofaziale Dysfunktion“.
Durch Einschränkung in der Kraft, Bewegungsfähigkeit und Koordination von Lippen, Kiefer Zunge in Verbindung mit Wahrnehmungsstörungen, kann es bei den Kindern zu Problemen bei der Atmung, beim Essen (kauen, beißen, schlucken), bei der Stimmgebung und der Artikulation kommen.
Symptome für eine orofaziale Dysfunktion können sein:
- wählerisches Essverhalten/ Nahrungsverweigerung
- bevorzugt weiche Nahrung, vermeidet Kauen
- schlechte Koordination von Atmung und Nahrungsaufnahme (z.B.: beim Stillen)
- Husten, Würgen, Erbrechen direkt nach dem Essen
- fehlender Mundschluss, mangelnde Speichelkontrolle
Abzugrenzen von den orofazialen Dysfunktionen sind die sogenannten „Fütterstörungen“. Hierbei handelt es sich um ein wählerisches Essverhalten in Abwesenheit einer organischen Erkrankung. Sie gehören also in den Bereich der Verhaltensstörungen und bedürfen im Extremfall auch der psychologischen Betreuung des Kindes.
Zum Schluss noch ein paar Hinweise für alle geplagten „Suppenkasper-Eltern“:
Bis zum 4. Lebensjahr hat ein Kind seine bevorzugte Nahrung und Geschmacksrichtung festgelegt. Prägend für den späteren Geschmack ist u.a. die Phase zwischen dem 9. und 12. Lebensmonat. Häufig muss man danach ein neues Lebensmittel bis zu 14 mal – ohne Druck – anbieten, um das Kind vom „Probieren“ zu überzeugen. Berücksichtigen Eltern diesen normalen Entwicklungsprozess nicht , wird das Essen zur Konfliktsituation, bei der die Kinder mit Nahrungsverweigerung reagieren können.